Digital und innovativ – Der Tourismus von heute und morgen

Interview mit Michael Buller, Vorstand des Verbands Internet Reisevertrieb e.V. (VIR)

Internet-Reisevertrieb, was ist das eigentlich? Und wie wichtig sind digitale Anbieter und Dienstleister heute für die Tourismusbranche in Bayern? Darüber und über die Rolle von touristischen Start-ups haben wir uns mit Michael Buller, dem Vorstand des Verbands Internet Reisevertrieb (VIR), unterhalten.

Mann mit Brille, weißem Hemd und beigem Sakko
Michael Buller © Verband Internet Reisevertrieb e.V.

Was genau versteht man unter „Internet-Reisevertrieb“? Und welche Anbieter und Dienstleister sind im VIR organisiert?

Unser Verband heißt heute noch „Internet Reisevertrieb“, weil er 2007 gegründet worden ist, also in Zeiten, als das Internet noch Neuland war, ebenso der Vertrieb von Reisen über das Internet. Die Leute fragten sich damals noch, ob sie ein online gekauftes Flugticket überhaupt bekommen würden oder machten sich Sorgen, was mit ihren Kreditkartendaten passieren würde.

Aus diesem Grund haben sich damals die fünf größten Portale zu unserem Verband zusammengeschlossen und ein gemeinsames Wertesystem entwickelt. Heute sind alle großen Player bei uns organisiert – Expedia, HRS, Booking.com, HolidayCheck , Lastminute.com, Fluege.de und so weiter – aber auch die ganze digitale Infrastruktur. Die wird oft vergessen, wenn vom digitalen Reisevertrieb die Rede ist: Reservierungssysteme, Paymentanbieter, Versicherungen, Mietwagenportale und so weiter. Denn bis so eine Buchung in einem Hotel oder einer Destination landet, sind ganz viele Akteure beteiligt.

In unserem Verband wird dieses ganze Ökosystem des Reisens sichtbar. Manche würden sagen, wir sind quasi die „Nerd-Ecke“ des Tourismus. Wir haben etwa 100 Mitglieder. Das klingt wenig, aber über diese Unternehmen wird der Großteil des digitalen touristischen Umsatzes abgewickelt.

Wie wichtig sind digitale Anbieter und Dienstleister für die Tourismusbranche in Bayern? Wie hat sich das in den letzten Jahren entwickelt?

Zwischen Bayern und den anderen Bundesländern gibt es keine großen Unterschiede. Man muss allerdings sagen, dass Bayern in Sachen Internet von Anfang an gut aufgestellt war. Bayern gehörte bereits in den 1990er-Jahren zu den ersten Bundesländern, die in einen richtig schnellen Internetknoten investierten, weshalb sich insbesondere in München und Umgebung viele Tech-Unternehmen angesiedelt haben.

Heute hat fast jeder Mensch Zugang zum Internet. Und in den Coronajahren gab es zusätzlich nochmal einen ziemlichen Schub für den Internetvertrieb, denn man konnte beinahe nur noch digital Dinge anbieten oder kaufen. Ein echter Game Changer war auch das Jahr 2017: In diesem Jahr wurden erstmals mehr Haupturlaubsreisen über Webseiten gebucht als über den Besuch in einem klassischen Reisebüro. Seitdem ist der digitale Wandel unübersehbar. Heute ist es unabdingbar für jedes Unternehmen, auch online stattzufinden. Die technischen Möglichkeiten sind jetzt auch erheblich günstiger. Und eine Webseite kann sich wirklich jeder leisten.

Welche Bedeutung hat der Internet-Reisevertrieb gegenüber dem „herkömmlichen“ Vertrieb in Reisebüros? Ideale Ergänzung oder große Konkurrenz?

Die Mehrheit aller Urlaubsreisen, nämlich 65 Prozent, werden heute über digitale Kanäle gebucht. Diese Quote wächst jährlich um zwei bis drei Prozent – die neuesten Zahlen dazu werden wir im März auf der ITB 2023 veröffentlichen. Und es vermischt sich alles immer mehr, denn auch gute, klassische Reisebüros haben heute eine eigene Webseite, machen Videocalls und sind digital präsent. Das müssen sie auch, denn die nächste Generation will ihre Buchung eher via WhatsApp als bei einem Besuch vor Ort abschließen.

Fördert der Internet-Reisevertrieb den Tourismus insgesamt?

Absolut! Es gibt eine Studie von Tourism Economics, die den Impact für Deutschland belegt. Allein im Jahr 2019 gab es 12,6 Millionen zusätzliche Übernachtungen in Deutschland, die explizit auf die digitalen Vertriebskanäle zurückgehen. Zudem besagt die Studie: Kleinere Hotels profitieren von den großen Portalen, den sogenannten Online Travel Agents, weil sie durch diese einen höheren Prozent-Anteil am Buchungsanteil bekommen – gemessen an der Gesamtverteilung der Buchungen. Oder nehmen wir das Beispiel Holiday Check: Dort kann man transparent sehen, wie andere Reisende ein Hotel bewerten. Dadurch wissen Kunden besser, worauf sie sich bei einer Buchung einlassen und das macht die Entscheidung für sie leichter. Auch davon profitieren sicherlich auch kleinere Hotels, weil sie nicht nur auf ihre Sternekategorie reduziert werden.

Der VIR macht sich besonders für die Nachwuchsförderung stark. Können Sie uns dazu mehr erzählen?

Wir kümmern uns einerseits um den Nachwuchs, der von den Hochschulen kommt, denn der ist sehr wichtig für den Tourismus. Und dann sind wir in Sachen Start-ups sehr aktiv. Denn die sind gewissermaßen unser touristisches Innovations-Ökosystem. Die probieren neue Sachen aus und dafür brauchen sie Schützenhilfe, Zugang zur Branche und manchmal auch eine fachkundige Beratung bei juristischen Themen. Sie brauchen ein Netzwerk innerhalb der touristischen Start-up-Community, wo man sich austauschen kann, aber auch Verbindungen zu den großen Playern. Und das alles treiben wir kräftig voran. Demnächst gehen wir dazu sogar eine Woche mit 10 Start-ups in einen Coworking-Space. Und wir diskutieren gerade, ob wir nicht in München einen Hub für touristische Start-ups aufbauen. Denn wir glauben, dass es einen Platz braucht, wo sich touristische Unternehmen und Start-ups treffen und austauschen können. Wir sind ja doch eine sehr komplexe Branche, die andere Herausforderungen mit sich bringt als andere Branchen.

Der VIR veranstaltet auch eine „Start-up Night“. Was ist das?

Diese findet in verschiedenen deutschen Städten statt, auch in München. Da geben wir Start-ups, gerade ganz jungen, die Chance, zu pitchen und Networking zu betreiben. Und daraus kreieren wir dann am Ende des Jahres das Event „Start-up of the Year“. Auch einige bayerische Start-ups waren hier bereits vertreten: Die Mietplattform Camper Boys zum Beispiel, dann DynAmaze, eine App zum Buchen von Freizeitangeboten, oder auch Pincamp, das Campingportal des ADAC.